Was sind Ghostfollower?
Ghostfollower sind keine Menschen, sondern von Bots betriebene Accounts, die sehr gut trainiert darin sind, menschlich zu wirken. Daher ist der Begriff auch gar nicht so verkehrt: es sind digitale Geister. Vor allem eins: Nicht echt.

Prolog.

Dieser Artikel ist in der Freewriting-Methode entstanden. Ich habe zu Beginn keine Ahnung, welches Thema der Artikel behandelt. Es findet sich beim Schreiben, kristallisiert sich aus, wie wenn wir Salzwasser kochen; am Ende bleiben am Topfboden schöne Strukturen als ein Thema übrig, welches halt ausgekocht werden wollte. Kann ich doch nichts für! 

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Gestern habe ich auf Instagram in meinen Stories – mal wieder – erklärt, was Ghostfollower sind. Der Anlass war, dass ich mal wieder einen neuen Follower hatte, der ganz offensichtlich ein Fake-Account war. Einer von der Suggar-Daddy-Sorte. Grau meliertes Haar, ein gesichtsloser englischer Name (John Carter oder so), Lifestyle-Fotos auf der Yacht im Wechsel mit Kuschelporträts mit einem Hundebaby. Natürlich steht in der Bio irgendwas von „medical doctor“ oder anderer Unsinn. Wie immer habe ich ihn sofort entfernt, nicht ohne jedoch eine Bildschirmaufnahme davon zu machen und diese dann in meinen Stories zu teilen, einfach um zu erklären, was Ghostfollower sind. 

Schauen wir uns doch in diesem Blogartikel etwas ausführlicher an, warum Ghostfollower mit Hinblick auf ein Algorithmen-getriebenes System schädlich sind, wer dahinter stecken könnte und warum ihr sie immer sofort entfernen solltet. Denn Accounts wie diese sind von der Kulturwissenschaft, die sich mit Internetphänomenen beschäftigt, noch nicht erforscht. Und ihr würde der ratgebende Impuls sowieso fehlen. Weil halt Wissenschaft und so, ne. 

Aber erst einmal etwas anderes verstehen: Was ist Plattformkapitalismus?

Ghostfollower sind eine hässliche Ausgeburt des Plattformkapitalismus, so eine Art weirdes Cybertariat, eine Bot-Armee, die das ganze Mensch-Maschine-System, in dem wir leben, irgendwie inflationär unterhöhlt. Ich wünschte, der Begriff Cybertariat käme von mir, aber nee, er ist – wie der Begriff Plattformkapitalismus – von Ursula Huws. Sie ist Professorin für Arbeits- und Sozialwissenschaften an der University of Hertfordshire in Großbritannien und veröffentlichte 2014 ein sehr schlaues Buch mit dem Titel „Labor in the Global Digital Economy: The Cybertariat Comes of Age“. Doch was ist Plattformkapitalismus überhaupt? 

Plattformkapitalismus ist eine moderne Form des Kapitalismus, der aus digitalen Interaktionen ein Geschäftsmodell macht, um immer größere Anteile am Markt, immer mehr Daten und damit immer mehr Informationen über die Nutzer zu sammeln. In einem solchen Modell stellen Unternehmen wie Google, Amazon oder Meta die Plattform bereit, über die Nutzer miteinander interagieren können. Dabei erheben die Firmen oft umfangreiche Daten über die Nutzer, die sie für Werbung oder andere Geschäftsmodelle nutzen können. So weit so klar. 

Unternehmen betreiben die Plattform aber nicht nur, sondern sie fungieren auch als Vermittler zwischen Anbietern und Nutzern. Dies ermöglicht es ihnen, die Preise und Bedingungen von Transaktionen zu kontrollieren und so ihren eigenen Gewinn zu maximieren. Wer einmal verstanden hat, wie man als YouTuber:in Geld verdienen kann, weiß, wovon ich spreche. Monetarisierung lautet hier das Zauberwort. Auf Amazon beispielsweise wäre es das Affiliate Programm. Dies führt aber zu einem Ungleichgewicht zwischen denen, die Zeit und andere Ressourcen haben, Content zu produzieren und den kleineren Anbieter:innen, die ebenfalls auf diese Plattformen angewiesen sind, um ihre Produkte und Dienstleistungen anzubieten. Das bedeutet, hier entsteht eine neue, digitale Form der sozialen Ungerechtigkeit. Mummy-Businesses sind ein schönes Beispiel dafür: Sie haben gegründet, weil der klassische Arbeitsmarkt sie ausgespuckt hat. Und jetzt müssen sie neben Kita, Buchhaltung und Co. auch noch Content produzieren. – So wie ich diesen Artikel, den ihr hier gerade lest. Ich würde jetzt gern auch einfach gar nichts machen? Mal so als Idee? Jedenfalls: Bei all’ der Kritik haben wir noch nicht über die Privatsphäre und die nicht vorhandene Kontrolle über die eigenen Daten gesprochen. –

Was haben Ghostfollower mit Plattformkapitalismus zu tun? 

Ganz wichtig zu verstehen: Ghostfollower sind keine Menschen, sondern von Bots betriebene Accounts, die sehr gut trainiert darin sind, menschlich zu wirken. Daher ist der Begriff auch gar nicht so verkehrt: es sind digitale Geister. Vor allem eins: Nicht echt. Diese Social-Media-Profile wurden erstellt, um zu folgen, ohne dass es sich um einen echten menschlichen Benutzer handelt. Ghostfollower kommen auf allen Social-Media-Plattformen vor und erwecken immer den Eindruck von Beliebtheit und Einfluss, indem sie eine große Anzahl von Followern vortäuschen und beliebt oder populär wirken wollen (daher auch die Yacht-Fotos oder die perfekten Haare). Doch: Was ist jetzt das Geschäftsmodell daran? 

Ganz einfach: Ghostfollower kann man kaufen, um seine eigene Followerzahl künstlich aufzublähen. Dies führt dazu, dass wir dann auch schön populär und wichtig wirken. Wäre ja eine Idee für die Mummy-Businesses, oder? Weit gefehlt, denn: DIESE ACCOUNTS INTERAGIEREN NICHT. Und dann passiert Folgendes: Wir haben eine unglaublich schlechte Engagementrate. Das ist das Verhältnis von denen, die uns folgen und denen, die mit uns interagieren. Mit Ghostfollowern kategorisiert uns der Algorithmus also nach unten und unsere organische Reichweite sinkt ins Bodenlose. „Die haben mal wieder den Algorithmus umgestellt“?! Weit gefehlt: Du hast wahrscheinlich viele Ghostfollower, die nicht mit dir interagieren. Sorry for speaking the truth. Dann wertet der Algorithmus deinen mühsam erstellten Content als nicht relevant ein und das war es dann. Follower zu kaufen ist also eine richtig dumme Idee. Sowieso Dummheit: 

Wie unsere Naivität ausgenutzt wird

Wir sind dadrauf getrimmt, viele Follower zu haben. Wer viele Follower hat, wirkt einflussreich, wichtig. Vor allem hat er eine wertvolle Ressource: Menschen, die einem folgen, weil sie einen mögen oder interessant finden. Und an diese Menschen lässt sich doch super etwas verkaufen. Das heißt: Wenn uns so ein Account folgt, denken viele: „Ich kenn den zwar nicht, aber cool, wieder ein Follower mehr.“ Und das ist einfach ein naives Denken. Denn wie gesagt: Sie schaden uns algorithmenseitig betrachtet sehr. Und wenn wir denen gar zurückfolgen würden, bekommen sie quasi menschliche Street Credits. Das Problem allerdings ist auch, dass sie verwendet werden, um Spam oder gefälschte Inhalte zu verbreiten oder um Phishing-Angriffe durchzuführen. Plattformen versuchen immer wieder, Ghostfollower zu bekämpfen, indem sie automatisierte Konten und Bots entfernen oder durch menschliche Überprüfungen ersetzen. Auch kenne ich Leute, von denen Instagram gedacht hat, sie wären ein Bot, weil sie so vielen Leuten auf einmal gefolgt sind – in der Hoffnung, dass diese Leute ihnen dann auch zurückfolgen. Ihr Konto wurde dann gesperrt. Aber das ist eine ganz andere Geschichte und der Artikel will jetzt langsam ein Ende finden. 

Die Moral von der Geschicht’: Wir brauchen nicht viele Follower, sondern die richtigen. 

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