Die geheime Schattenseite der Kreativität

Kreativität ist in Zeiten der Digitalisierung das Gebot der Stunde. Dann hört aber auch bitte den Kreativen zu – und nehmt an, was sie über die Schattenseiten zu berichten haben. Die eigentlich keine sind.

Die geheime Schattenseite der Kreativität

Ok, so geheim ist sie auch nicht, zumindest nicht, wenn man selbst Kreative:r ist. Aber die, die es sind, kennen es, nur das kaum jemand darüber spricht: Kreative Gehirne haben nie Pause. Sie sind immer am auf- und wahrnehmen. IMMER.
Kreativität ist eigentlich meine Superpower. Ich kann mich unglaublich schnell in ganz nerdige Themen eindenken, diese weiterentwickeln, Zusammenhänge zu anderen Themen herstellen und sowieso: Ich kann vor dem Hintergrund superschnell und ich finde auch supergut das Gedachte zur Darstellung bringen-ist-gleich texten oder sonst wie klar ausrollen. Ich bin sehr leicht zu begeistern und wenn ich es bin, bin ich auch begeisternd.

Aber das Problem ist: Es gibt immer etwas zu analysieren, umzuformen, in ein Narrativ zu übertragen. Alles wird zu verwertbarem Content. Deswegen sind mir die ganzen Contentstrategie-Tipps auf Instagram ein völliges Rätsel, die Antwort auf die Frage geben sollen, was man denn nur posten soll. Bei mir: Was soll ich NICHT posten? Oder: Wann soll ich das alles nur posten, was in meinem Kopf ist? Gibt es virtuelle Assistenten, die da hineinschauen können, ja? Wo sind sie? Bitte melden!

Ein Gespräch wird Content.
Eine Enttäuschung wird Content.
Ein Film wird Content.
Alles wird Content, selbst das Darüber-Sprechen, wie etwas Content wird, wird Content.


Mein persönliches Leid mit Kreativität aus der jüngeren Vergangenheit


Lange Zeit durfte ich nicht kreativ sein. Darüber spreche ich jetzt nicht, sonst artet es wieder völlig aus, aber das frei-über-alle-Häusderdächer-Fliegen lerne ich erst seit gut einem Jahr kennen, seit dem ich in der Selbstständigkeit bin. Ich kam da gerade aus einer Phase in meinem Leben, wo mir an den Kopf geworfen wurde: „Na Teresa du bist halt ein ziemlich Hoppla-hopp-da-bin-ich-Typ.“ In dem Moment war es die Begründung einer Kündigung, aber ich wäre keine Kreative, wenn ich es nicht für mich nicht von der guten Seite gesehen hätte. Ein Hoppla-Hopp-da-bin-ich-Typ also, aha. Das ist doch spitze! – Wie ich mir also abgewöhnt habe, mich wegen dem Neid anderer Menschen schlecht zu fühlen. Und ja verdammt, ich habe schon viele Menschen deswegen verloren. „Na du bist halt ein verrückter Professor, da kommt nicht jeder mit.“ Ich kann es halt nicht ändern.



Mein persönliches Leid mit Kreativität aus der allerjüngsten Vergangenheit


Ich könnte den ganzen Tag über Kreativität sprechen. Als ich drei Jahre alt war, sah ich im Fernsehen eine Doku über eine Künstlerin, die auf Ostfriesland lebt, die ist mit ihrem Walhalla-Schal so über den stürmischen Deich gelaufen und dann in ihr windschiefes kleines Haus eingekehrt, wo sie erstmal Tee gekocht und dann Aquarell gemalt hat. Ich habe die Bilder immer noch sehr genau im Kopf und wollte seit genau diesem Tag auch Künstlerin werden. Ich habe das durchgezogen, bis ich 18 war, habe erst gelitten und dann gemalt, gezeichnet, gesungen… So kreative Overflows haben mich also meine gesamte Kindheit und Jugend begleitet. Dann wollte ich Design studieren und bin zu einem Mappenberatungsgespräch in Hildesheim gefahren. Der Professor sagte in Anbetracht meiner Zeichnungen wortwörtlich zu mir: „Also junges Fräulein, handwerkliches Talent haben sie, keine Frage. Aber sie reiben sich nicht an der Welt, sie sind kein Künstler.“ Boom, das war’s dann fürs erste. Hier gibt es auch noch viel aufzuarbeiten, aber an einem anderen Tag. Ich werde das jetzt massiv abkürzen, weil ich keine Zeit habe, aber bevor der Artikel wieder nur ein Entwurf bleibt: Mir ist bisher kaum etwas eingefallen, wie ich solche Overflows in den Griff bekomme. Auf Instagram habe ich mich mit einem Abschnitte einer Rede von Philipp Amthor – mit 25 gestorben, um mit 90 begraben zu werden – schon über mich selbst lustig gemacht und mache das eh ständig. Das ist wirklich etwas heilsam, vor allem, wenn es andere auch lustig finden.



Wie Kreativität in den Griff zu kriegen sei. Nicht.

Ich weiß einfach nicht, wie ich das in den Griff bekommen soll. Selbst kritische Stimmen in mir selbst haben nie viel zu melden und sind nur ganz fein kalibrierte Korrektiv-Dienstleister im Einsatz für den Perfektionismus (der inzwischen aber auch nicht mehr auf der Prioritäten-Liste ganz oben steht, da ist einfach zu viel, was raus will). Wir sehen: Echte Kreativität bringt viele Probleme mit sich. Kreative Menschen offensichtlich auch. Sie stören die Ruhe, Prozesse, Routinen, Absprachen. Oh man. Sie brauchen definitiv Unterstützer, die sie so nehmen wie sie sind und ihnen ihre Freiheiten lassen.



Wie Kreativität funktioniert


Kreativität muss übrigens nichts mit Farben und Gestaltung im weitesten Sinn zu tun haben. Kreativ ist auch, wer immer einen Weg findet, egal, wie groß die Widerstände sind. Gangster zum Beispiel sind sehr kreative Menschen. Kreativ ist, wer Lob und Anerkennung innerlich müde weglächelt, weil: Du musstest es halt tun, sonst hättest du dich selbst unglücklich gemacht. Kreativität ist vor dem Hinterrund auch eine sehr egoistische Angelegenheit. Ja, ist es. Und wenn ich die ganzen Design-Thinking-wir-müssen-im-Business-kreativer-denken höre, kann ich manchmal nur mit den Augen rollen, denn das Prinzip von Kreativität ist einfach ein völlig anderes. Wo das Wort „müssen“ auftaucht, ist es vorbei. Das ist auch aus meinem Wortschatz gestrichen. Wenn jemand zu mir sagt: „Teresa, du musst das und das tun!“ oder „Teresa, du musst unbedingt ruhiger/fokussierter/oder sonst was werden!“, dann hat diese Person bei mir mindestens an Relevanz für mich verloren. Das sind Menschen, die dich kleiner halten oder dich sonst wie bändigen wollen. Das geht nicht. Ausbremsen ist der Tod. Kreativität hat mit absoluter Wildheit zu tun, sich auch Dinge erlauben zu denken, die die Formallogik, die Physik oder die Moralphilosophie ausschließt. Denken kann man es immer erstmal. Es ist halt nur kreuzgefährlich. ABER: Dafür lobe ich mir das Konzept des Teams. Das Team ist immer ein gutes Korrektiv, aber das muss ein sehr diverses Team sein. Am besten, man hat auch so einen Steuerberater-Typen dabei. Aber der muss diese Wildheit mindestens begrüßen und allerwenigstens amüsant beobachten, bis er dann auch mal etwas Wichtiges beizutragen hat.

Das ist meine ideale Vorstellung vom kreativen Arbeiten, Denken, Fühlen, Leben, Zukunft-Gestalten. In dem wohlwollenden Aufpassen des Steuerberaters und dem wohlwollenden Akzeptieren desselben auf der anderen Seite. Das, und nur das.

Bitteschön.

Wilde Grüße von der Tastatur, die gerade sehr gelitten hat. Danke liebe Tastatur.

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